Bericht
des Sozialausschusses
betreffend die
Einführung der gemeinsamen Obsorge
[Landtagsdirektion: L-420/12-XXVII,
miterledigt Beilage 48/2009]
Seit 1. Juli 2001 gibt es in Österreich die Möglichkeit, die "Obsorge beider Elternteile" im Falle
einer Scheidung freiwillig zu vereinbaren. Diese Regelung wurde im Jahr 2005 einer Evaluierung
unterzogen. Die Evaluierungsstudie des Bundesministeriums für Justiz brachte unerwartete
Ergebnisse. Die neue Möglichkeit der gemeinsamen Obsorge wurde im Untersuchungszeitraum in
über 53 % der Fälle in Anspruch genommen. Positive Auswirkungen sind vor allem die schnellere
Beruhigung des Konfliktniveaus, weniger Konflikte um die Ausübung des Besuchsrechts, hohe
Zufriedenheit mit der Obsorge beider Elternteile, häufigere Kontakte der Kinder mit dem getrennt
lebenden Elternteil, eine zehn mal niedrigere Kontaktabbruchsrate als bei alleiniger Obsorge, der
getrennt lebende Elternteil übernimmt quantitativ und qualitativ mehr elterliche Aufgaben und
Verantwortung, mehr Austausch zwischen den getrennt lebenden Eltern, positive Auswirkungen
auf die Zahlung des Kindesunterhalts (pünktlicher, Höhe wird eher als angemessen erlebt, etc.).
Am 3. Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (22028/04)
ausgesprochen, dass das Abhängigmachen des Sorgerechts für unverheiratete Väter von der
Zustimmung der Mütter dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht.
Da im Vordergrund jeder Obsorgeregelung das Wohl des Kindes steht, ist die gemeinsame
Obsorge mit begleitenden Maßnahmen zu ergänzen, um einem etwaigen Konfliktpotenzial bereits
im Vorfeld entgegenzuwirken. Derartige Maßnahmen wären eine einzurichtende
Schlichtungsstelle, verpflichtende Beratung, Mediation, Konfliktlösungstherapie, gemeinsame
Gespräche, Stärkung der Elternbildung - vor allem hinsichtlich der Reflektion über die Beziehung
selbst und der Verantwortung der Eltern gegenüber dem Kind.
Erst wenn auch dadurch keine Einigung erzielt werden kann, soll das Verfahren vor Gericht geführt
werden. Für die Gerichte soll ebenfalls die Festsetzung der gemeinsamen Obsorge geschaffen
werden. Damit wird das Interesse des Kindes verstärkt in den Vordergrund gerückt, was
konfliktmindernd wirken kann.
Der Sozialausschuss beantragt, der Oö. Landtag möge beschließen:
Die Oö. Landesregierung wird ersucht, bei der Bundesregierung dafür einzutreten, dass
diese jene gesetzlichen Grundlagen veranlasst, welche die Beibehaltung der Obsorge
beider Elternteile im Falle der Trennung als gesetzlicher Regelfall vorsieht, sofern dies nicht
im Widerspruch zum Kindeswohl steht. Wird ein Einspruch eines Elternteils erhoben, so
sollen eine - noch einzurichtende - Schlichtungsstelle oder andere geeignete Angebote die
Elternteile beim Finden einer Obsorgeregelung unterstützen. Kommt es dennoch zu keiner
gütlichen Einigung, dann soll eine Obsorgeregelung durch das Gericht gefunden werden,
wobei dem Gericht auch die Möglichkeit eingeräumt werden soll, die gemeinsame Obsorge
beizubehalten. Bei einer Trennung von nicht ehelichen Gemeinschaften, bei denen bereits
beide Partner hinsichtlich ihrer gemeinsamer Kinder obsorgeberechtigt waren, soll die
Beibehaltung der Obsorge analog geregelt werden.
Linz, am 30. Juni 2011
Dr. Aichinger
Wall
Obmann-Stellvertreter
Berichterstatterin