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29.01.14 22:03 Alter: 10 yrs

"Na, hat dich deine Frau geschlagen?"

 

Eine Studie des Robert-Koch-Instituts liefert überraschende Ergebnisse: Demnach werden ebenso viele Männer Opfer von häuslicher Gewalt wie Frauen. Doch häusliche Gewalt gegen Männer ist ein Tabuthema.

 

Lange Zeit dachte Michael Fuhl (Name geändert), er sei schuld, dass seine Frau ihn schlug und trat. Sie warf Sachen nach ihm, ging mit Hammer, Säge und Schere auf ihn los, kippte Flaschen und Aschenbecher über ihm aus.

 

"Anfangs habe ich gefragt, was ich falsch gemacht habe. Dann habe ich alles verdrängt und mich an den schönen Momenten festgehalten", erzählt der 42-Jährige.

 

Häusliche Gewalt gegen Männer ist immer noch ein Tabuthema. Dabei sind laut der aktuellen Gesundheitsstudie des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin fast ebenso viele Männer wie Frauen Opfer körperlicher Gewalt ihres Partners.

 

Laut dieser Studie leiden Männer seelisch sogar erheblich mehr als betroffene Frauen. "Dies kann als Hinweis auf eine fehlende sozial akzeptierte Opferrolle für Männer interpretiert werden", heißt es in der Studie.

 

Männer schämen sich mehr

 

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Die Psychotherapeutin Christa Roth-Sackenheim aus Andernach sieht das ähnlich. "Das Thema häusliche Gewalt ist insgesamt hoch tabuisiert. Und bei Männern kommen noch höhere Schamgefühle hinzu, da es nicht der männlichen Rolle entspricht, geschlagen zu werden."

 

Michael Fuhl hat sich vor zwei Jahren von seiner Ehefrau getrennt und sich einem Psychotherapeuten anvertraut. Mittlerweile kann er offen über seine Erlebnisse sprechen. Er hatte seine Frau im Jahr 2005 kennengelernt, bereits kurz darauf wurde geheiratet. Von Anfang an griff sie ihn immer wieder an – zunächst verbal. Er wehrte sich nicht.

 

"Zurückschießen ist nicht so mein Ding", erzählt er. Beim ersten gemeinsamen Weihnachtsfest des jungen Ehepaares wurde sie ihm gegenüber gewalttätig. Sie ging mit einer Schere auf ihn los. Verletzt wurde er nicht, sie entschuldigte sich kurz darauf. "Ich habe es verstanden und mich auch bei ihr entschuldigt. Ich dachte, es bleibt bei dem einen Mal."

 

Viele Opfer nehmen die Schuld auf sich

 

Doch nur einmalige Übergriffe sind sehr selten – wer das erste Mal zuschlägt, überschreitet eine Grenze und geht meist nicht mehr dahinter zurück. Die Opfer sind oft Männer, die sich fair verhalten wollen. Viele von ihnen nehmen die Schuld für das Verhalten ihrer Partnerin auf sich.

 

"Dieses Phänomen findet man auch bei geschlagenen Frauen", erklärt Roth-Sackenheim. Frauen, die selbst prügeln, neigen generell rasch zu Wutausbrüchen. Sie haben wenig Einfühlungsvermögen und schlagen zu, weil sie sich vermeintlich nicht anders zu helfen wissen.

 

Die Frau von Fuhl wurde im Laufe der Ehe gewalttätiger. Immer wieder ging sie ihn an, schlug ihn sogar mit einem Hammer auf den Kopf. An Karneval 2011 hieb sie mit einem Holzgriff auf ihren am Boden liegenden Mann ein. Dabei wurde sein Jochbein angebrochen und sein Auge verletzt, er musste ins Krankenhaus. "Ich habe mir immer wieder überlegt, ob ich aus der Beziehung rausgehe. Aber Konsequenzen habe ich lange Zeit letztlich nicht gezogen."

 

Die Gewaltausbrüche seiner Frau taten ihm nicht nur körperlich und seelisch weh, auch die Auswirkungen auf sein sonstiges Leben waren enorm. Fuhl berichtet, wie er mit niemanden über seine Erlebnisse sprach, sich von seiner Familie zurückzog und seine Freunde verlor.

 

Zu Hause nur noch als gehasster Gast gefühlt

 

Wie er mit Gesichtsverletzungen in seine Firma kam und Kollegen scherzten: "Na, hat dich deine Frau geschlagen?" Wie er sich zu Hause nur noch als gehasster Gast fühlte, keinen sicheren Rückzugsort mehr hatte. Und wie er immer häufiger in ein tiefes Loch fiel und an Selbstmord dachte.

 

Im Januar 2012 schafft er endlich den mühsamen Absprung. Seine Frau versteckte noch sein Geld und seine Papiere vor ihm, sodass er nicht ausziehen konnte. Nach einigen Querelen bekam er sein Eigentum wieder und mietete sich eine Wohnung.

 

"Das war wichtig zum Überleben." Er schloss sich zunächst einer Gruppe für geschiedene und verlassene Männer an, dort fühlte er sich mit seinen Erlebnissen jedoch als Exot. Hilfe brachte ihm schließlich eine Therapie.

 

"Betroffene Männer können sich auch bei uns melden", sagt eine Sprecherin der Opferhilfe Weißer Ring in Mainz. Unter der Telefonnummer 116006 bekämen sie sofort Hilfe, außerdem würden Ansprechpartner vermittelt.

 

Hilfe nicht bei Kumpeln am Stammtisch suchen

 

Auch Roth-Sackenheim empfiehlt Männern, sich professionelle Unterstützung zu suchen. "Sie sollten sich nicht an ihre Kumpel am Stammtisch wenden, sondern an eine Selbsthilfegruppe oder einen Therapeuten." Wer über längere Zeit in einer gewalttätigen Beziehung lebt, könne psychisch krank werden, warnt Roth-Sackenheim.

 

Wenn sich über ein bis zwei Jahre trotz Versprechungen des Partners nichts ändert, wird die Beziehung besser beendet. Keinesfalls sollte sich der Betroffene mit der Situation arrangieren und sich zum Beispiel einreden, er müsse nur Anzeichen des nächsten Gewaltausbruchs erkennen und könne dann gegensteuern.

 

"Damit organisiert man sein ganzes Leben um die Störung des Partners herum", sagt Roth-Sackenheim. Nach einer Trennung seien die Männer oft so verunsichert, dass sie erst einmal keine neue Beziehung eingehen würden. Michael Fuhl gehört zu den Ausnahmen, er hat seit dem vergangenen Sommer eine Freundin.

 

Quelle: www.welt.de/gesundheit/psychologie/article124329318/Na-hat-dich-deine-Frau-geschlagen.html

 


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